Urlaubsplanungen

„Hast du gesehen, mit welchen Augen er sie angeschaut hat?“ – „Ja, unser Freund Thomas ist kaum wieder zu erkennen.“
Miriam legte ihre Hand auf Svens Hand, der gerade den fünften Gang einlegte, und sagte: „Ich bin sehr froh, dass wir beide zusammen sind.“
Sven stimmte erfreut zu: „Ich auch! Und lieber Gott, bring uns die beiden Turteltäubchen Thomas und Tanja wieder heil nach Hause zurück!“
„Und uns auch“, warf Miriam ein. „Sven, du solltest bei diesem Regen jetzt etwas mehr auf die Straße schauen. Ganz allein macht’s der liebe Gott halt auch nicht.“
Es regnete immer heftiger. Die Rücklichter der vorderen Autos waren nur mit Anstrengung zu erkennen. Die Scheibenwischer des alten Wagens kämpften sich durch die Wassermassen.
„Du, Sven, bei diesem Wetter kann ich die beiden schon verstehen. Sonne, Strand, warmes Meerwasser. Auf Bali ist es jetzt bestimmt superschön und dann das Ganze auch noch umsonst!“
Thomas und Tanja hatten bei einer Quizsendung eine zweiwöchige Reise nach Bali gewonnen. Miriam und Sven haben sie gerade auf den Flughafen gebracht.
„Ja, Miriam, das stelle auch ich mir schön vor. Doch der lange Flug und die lästigen Ein- und Ausgangskontrollen bei den heutigen Sicherheitsstandards… Wir sind schon fast wieder daheim. Ich wette, die sind jetzt noch im Wartebereich.“
„Schon ein bisschen komisch, dass sie gerade dahin fahren, nachdem dieses schreckliche Attentat passiert ist. Irgendwie finde ich’s mutig; hab’ aber auch ein mulmiges Gefühl. Ob man da noch in Urlaubsstimmung kommen kann, nachdem so etwas passiert ist?“
„Och, Miriam, ich glaube, die beiden hättest du jetzt zwei Wochen in eine Telefonzelle einsperren können. Die hätten sich auch dort prächtig amüsiert.“
Miriam lachte schallend.
Ihr Wagen bog schon in die Herbertgasse ein. Sie hatten Glück, direkt vor Nummer 19 war noch eine Parklücke. Schnell sprangen sie unter einem Schirm durch die Pfützen auf die Haustür zu, die wieder mal nur angelehnt war.
Sven und Miriam hatten vor einem Jahr geheiratet. Sie wohnten seitdem zusammen in Carlsburg in einer gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung. Na ja, ‚gemütlich’ war es anfangs überhaupt nicht, denn das große Mietshaus bot zwar günstigen Wohnraum, jedoch kein Penthouse-Ambiente.
Sven hatte eine gute Hand bewiesen, mit einfachen Mitteln eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen. Auch Miriam leistete ihren Beitrag, sie hatte sich als hervorragende Köchin entpuppt. Außerdem liebte sie es, mit kleinen Sachen auf Schränken, Kommode und Regalen kunstvoll das gemeinsame Heim zu verschönern. Insbesondere bei der Auswahl von Stoffen und Bettwäsche hatte sie ein gutes Händchen.
Sven, der angehende Innenarchitekt, verstand es perfekt, die Möbel so aufzustellen, dass viel Raum und Behaglichkeit entstand. Das nötige Feeling für Farben und Pflanzen begeisterte beide, obwohl eher Sven den grünen Daumen hatte. „Das liegt wohl in der Familie", sagte er zu diesem Talent.
Miriam hatte sich für das Studium der Wirtschaftsinformatik entschieden. Parallel zum Studium nahm sie Gesangsunterricht, was ihr als Ausgleich viel Spaß machte. „Jetzt kochen wir uns erst einmal einen heißen Tee“, rief Miriam, als sie ihren Mantel auf die Couch warf.
„Ja, bei diesem Schmuddelwetter tut Wärme besonders gut“, meinte Sven. „Ach, übrigens zum Thema Wärme, unsere Heizung geht schon wieder nicht richtig. Da muss ich nachher gleich mal unseren Freund, den Hausmeister, anrufen.“
„Freund ist wohl nicht das richtige Wort“, rief Miriam aus der Küche, „der ist bestimmt völlig genervt, wenn wir uns schon wieder melden.“
„Vielleicht wär’s jetzt doch schöner auf einer warmen Insel“, seufzte Sven.
Miriam kam auf Sven zu und sagte mit vielversprechendem Blick: „Statt heißen Tee hab’ ich da eine bessere Idee. Wir kuscheln uns einfach unter die Decke und spielen gestrandet auf einer einsamen Insel.“
Mit diesem Vorschlag war Sven sofort einverstanden.
Plötzlich läutete das Telefon. Es war Biggi, Miriams beste Freundin. Das konnte ein längeres Gespräch werden.
Sven ahnte, dass für ihn unter der Decke die „einsame Insel“ im wörtlichen Sinn Wirklichkeit werden könnte.
Miriam rief ihm noch zu: „Ich komme gleich, Sven.“ . . .

 

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