Spuk in einem Schwarzwälder Bauernhaus

. . . Unvermittelt wechselte Tante Lisbeth das Thema und kam auf Svens Einladung.
„Deine Mutter hat mir am Telefon erzählt, dass du mit Geistwesen einigermaßen Bescheid weißt, oder besser gesagt, davon Ahnung hast.“

Thomas spitzte die Ohren. Sven hatte ihm manchmal schon etwas erzählt, aber genaues wusste er nicht.
„Weißt du“, fuhr die Tante fort, „seit mein Mann tot ist, tun sich Dinge bei uns, die fast beängstigend sind. Die Nachbarn tuscheln schon, und wir werden eines Tages als Hexenhaus verrufen sein.“ Tante Lisbeth machte eine Pause und sah nachdenklich zum Fenster hinaus. „Angefangen hat es“, fuhr sie fort, „mit Jörg. Eines Morgens kam er und erzählte, dass er, wenn er nachts aufs Klo muss, plötzlich Gestalten sieht. Mal ist es eine Frau, mal ein jüngerer, mal ein älterer Mann. Zuerst glaubte ich, dass er schlecht geträumt hätte, aber er erzählte es immer wieder, und ich glaubte ihm. - Kinder haben ja oft so einen sechsten Sinn.“

Sven hatte aufmerksam zugehört. „Nein“, sagte er nachdenklich, „nein, das ist kein sechster Sinn. Kinder sind einfach noch offener für geistige Dinge. Sie sehen manchmal Etwas - sehen es wirklich!“ betonte Sven, „nur die Erwachsenen halten diese Kinder dann oft für Träumer oder Spinner.“

Jörg rutschte auf seiner Bank hin und her und setze sich aufrecht hin. Hier war endlich mal jemand, der ihn echt ernst nahm.
„Das war wie gesagt der Anfang“, nahm die Tante das Gespräch wieder auf. „Es gab Tage, wo plötzlich ein Bild von der Wand fiel, der Nagel aber noch steckte, oder, dass eine Tür geöffnet wurde, die fest verschlossen war, oder, das war bisher das schlimmste, dass es nachts rumpelte, als führen schwere Pferdewagen in der Scheune herum.“

. . . Als Sven und Thomas in ihrem Zimmer waren, unterhielten sie sich noch über den Abend. „Sag mal, Sven, warum hast du nach dem Kruzifix gefragt. Hatte das einen besonderen Grund?“
„Und ob“, antwortete Sven. „Wenn es wirklich stimmt, dass hier erdgebundene Seelen sind, suchen sie das Kruzifix und halten sich in seiner Nähe auf in der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. Auch durch Jörg erhoffen sie Hilfe. Aber da das bisher nicht griff, fangen sie in ihrer Not an, zu poltern. Das kann alles miteinander zusammenhängen. Ich weiß es nicht so genau. Mal sehen.“

Es war inzwischen finster geworden, als plötzlich ein zaghaftes Klopfen an der Zimmertür zu hören war. „Sven! Seid ihr noch wach?“ ertönte Jörgs Stimme, dann öffnete sich die Tür, und Jörg stand im Raum. „Du glaubst mir doch, Sven. Komm! Ich will dir was zeigen. „Mit diesen Worten winkte er Sven und Thomas auf den Gang, der spärlich beleuchtet war. . . .
„Hier“, flüsterte er, „hier“ fügte er erklärend hinzu. Dann öffnete er vorsichtig die Tür. Der Raum dahinter lag in völliger Dunkelheit. Jörg knipste eine Taschenlampe an und ließ ihren Schein durch das Zimmer gleiten. Die Fenster waren durch Läden dicht verschlossen, Stühle reihten sich an den Wänden, und in der Mitte stand ein großer, runder Eichentisch. An der rechten Wand befand sich eine massive Anrichte, auf der fünf silberne Leuchter mit weißen Kerzen standen.
Verständnislos sahen sich Thomas und Sven an und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Jörg ging zu der Anrichte und zündete mit langen Streichhölzern die Kerzen an. Ein warmes Licht erhellte den Raum. Thomas wurde es unheimlich, und er fasste nach Svens Arm. Jörg wies die beiden an, sich zu setzen. Dann stellte er sich mit dem Rücken zur Tür, drehte sich dreimal, streckte die Arme hoch und rief halblaut mit seiner hellen Kinderstimme: „Heeelen! - Aaaalbert! - Jooosef! Kooommt! Ich bin bereit!“ Jörg nahm die Arme wieder herunter und blieb abwartend stehen. Ein leiser Luftzug bewegte kaum sichtbar die Gardine. Und nun begann ein Schauspiel, was Sven und Thomas das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Helen!“ befahl die Kinderstimme, „nimm den ersten Leuchter und stelle ihn auf den Tisch. Albert nimm den zweiten - Josef! - den dritten!“ Plötzlich bewegten sich die Kerzen mit den silbernen Leuchtern, schwebten durch die Luft und wurden vorsichtig auf dem Eichentisch abgesetzt. „Nun die anderen beiden!“ befahl Jörg.
Und wieder schwebten die Kerzen auf den Tisch. „Stellt sie ordentlich in einem Kreis auf“! forderte Jörg die unsichtbaren Wesen auf. Dass Geister im Raum waren, lag auf der Hand. Sven und auch Thomas zweifelten keine Sekunde daran. Sie saßen wie erstarrt auf ihren Stühlen.
Jörg holte eine Chromkugel, die im Schein der Kerzen aufblitzte, und legte sie in die Mitte des Tisches. „Hebt den Tisch an!“ befahl Jörg. „Passt auf die Kugel auf!“ Plötzlich wackelte der schwere Tisch, die Kugel rollte hin und her, fiel aber nicht herunter, und der Tisch hob sich immer höher und höher, um dann langsam wieder abgesetzt zu werden.
„Spielt Ball mit der Kugel!“ befahl die Kinderstimme. Kaum ausgesprochen, flog die Kugel durch den Raum, schneller und immer schneller, ja so schnell, dass man nur noch einen blitzenden Punkt sah. . . .

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